Diese Ausarbeitungen basieren auf den vor vierzig Jahren entstandenen Zeichnungen und Radierungen zur Storm-Novelle. Das Thema wäre also eigentlich abgeschlossen. Durch den "Klima-Wandel" und den damit verbundenen Anstieg der Meeresspiegel erhält jedoch der Deichbau eine völlig neue Aktualität. Dem Künstler drängen sich durchaus Parallelen auf, wenn er an die Vorbehalte und Konspirationen denkt, die Storm teils offen, teils zwischen seinen Zeilen schilderte. Also hat er sich ein zweites Mal an die Arbeit gemacht und versucht mit den heutigen technischen Möglichkeiten, seine damaligen Elaborate zu aktualisieren.
Theodor Storm und Sigmund Freud lebten zur gleichen Zeit. Theodor Storm wurde 1817 geboren und starb 1888, während Sigmund Freud 1856 geboren wurde und 1939 starb. Storm war also bereits älter als Freud, aber beide prägten die Kultur des 19. Jahrhunderts, Storm durch seine Literatur und Freud durch die Entwicklung der Psychoanalyse.
"Als ich vor 40 Jahren, das Buch als Verlags-Auftrag illustrierte, war ich dem Storm-Text verpflichtet. Alle Bilder hatten der Novelle minutiös zu entsprechen. Einige der Szenen haben mich seither nicht verlassen und ich suchte nach Informationen, die meine eigenen Interpretationen bestätigen könnten. In diesen neuen Gemälden verlasse ich bewusst das Korsett, des längst gesagten. Storm war ein Meister der Andeutung. Ich sehe darin ein Geschenk, das ich in diesen Gemälden einzulösen versuche. Wenige wissenschaftliche Ausarbeiten geben Interpretation und Dialoge wieder, die psychoanalytische Ansprüche Siegmund Freuds konkret widerspiegeln, gleichwohl gibt es Ausarbeitungen zu diesem Aspekt. Und auch diese haben meinen visuellen Thinktank gefüllt."
Storms Novelle Der Schimmelreiter thematisiert grundlegende Spannungen zwischen Rationalität und Aberglaube, Fortschritt und Tradition sowie zwischen der kontrollierten äußeren Welt und den unbewussten inneren Ängsten. Das Unheimliche entsteht laut Freud, wenn etwas, das einst vertraut war, fremd und bedrohlich erscheint – ein Phänomen, das durch verdrängte Ängste oder archetypische Bilder verstärkt wird.
In Storms Novelle wird dieses Unheimliche besonders durch die Gestalt des Schimmelreiters und die Naturerscheinungen vermittelt. Das weiße Pferd verkörpert eine übernatürliche Präsenz, die die Grenzen zwischen Realität und Mythos auflöst. Es steht zugleich für die Schuld und den inneren Konflikt des Protagonisten Hauke Haien, dessen Streben nach Rationalität und Fortschritt in seinem tragischen Untergang kulminiert. Die wiederkehrenden Motive von Wasser und Dämmen sind ebenfalls psychologisch aufgeladen: Sie symbolisieren die Ambivalenz zwischen Schutz und Zerstörung sowie die unkontrollierbare Kraft der Natur, die Haukes rationalem Willen trotzt.
Ein weiterer Aspekt ist die Rahmenerzählung, die eine Folklore-ähnliche Qualität besitzt und den Eindruck von Zeitlosigkeit und Schicksalhaftigkeit verstärkt. Die Erzählstruktur schafft eine Distanz zur unmittelbaren Handlung, wodurch die Ereignisse als übernatürliche Legende erscheinen. Diese Mehrdeutigkeit zwischen historischer Realität und mythischem Erzählen verstärkt die Wirkung des Unheimlichen, da der Leser nie sicher sein kann, ob es sich um reale Ereignisse oder um kollektive Ängste handelt.
Storms Werk reflektiert somit nicht nur gesellschaftliche und wissenschaftliche Konflikte seiner Zeit, sondern bietet auch einen Einblick in die psychologischen Dimensionen des Menschen. Das Unheimliche wird hier nicht nur als literarisches Mittel genutzt, sondern dient auch der Erkundung der menschlichen Psyche und ihrer Spannungen zwischen Kontrolle und Chaos.
Die in der Novelle enthaltenen Symbole und Themen bieten reichhaltiges Material für eine freudianische Interpretation.
Zusammenfassung: ChatGPT
Weitere Informationen:
Thematisierung des Unheimlichen nach Sigmund Freud in Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“
Hochschule Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik)
Faktensammlung: Anstieg der Meeresspiegel und der Küstenschutz in Norddeutschland.
Es gibt Hinweise darauf, dass Freud sich mit Storms Werk, insbesondere mit dem Schimmelreiter, auseinandersetzte. Freud erwähnte in einigen Schriften den Schimmelreiter und nutzte Werke von Storm als Beispiele in seinen psychoanalytischen Überlegungen.
Ein interessanter Aspekt ist, dass Freud in seinem Werk die symbolische Bedeutung des Schimmelreiters und die Darstellung von Ängsten, Konflikten und unterbewussten Motiven untersuchte, die auch in Storms Novelle präsent sind. Das Werk von Storm, das die psychologischen Spannungen und den inneren Konflikt des Protagonisten Hauke Haien thematisiert, spiegelt auf interessante Weise viele der Themen wider, die Freud später in der Psychoanalyse behandelte.
Text folgt
Die beiden nachstehenden Szenen kommt aus meiner künstlerischen Sicht eine besondere Bedeutung zu, denn sie berichten von den haidnischen Visionen des Hauke Haien. In einer Zeit, in der religiöse Vorstellungen und ein überlieferter nordischer Schamanismus sich entweder überschnitten oder kollidierten, wurden Entscheidungen und Verhaltensweisen noch oft überlieferten Vorstellungen geprägt, die über "Bauernweisheit" hinausgingen. Ich möchte meine vor vierzig Jahren entstandenen Gedanken heute in ausgereifter Form auf die Leinwände bringen. Dabei unterstützen mich meine Freunde Norman Keil und Aurel Manthei als Darsteller des jungen und des älteren Hauke Haien.
Gemälde Öl auf Leinwand 80 cm x 150 cm : "Seid Ihr auch hier bei uns ?"
Text folgt
Im Februar bei dauerndem Frostwetter wurden angetriebene Leichen aufgefunden; draußen am offenen Haf auf den gefrorenen Watten hatten sie gelegen. Ein junges Weib, die dabei gewesen war, als man sie in das Dorf geholt hatte, stand redselig vor dem alten Haien: „Glaubt nicht, daß sie wie Menschen aussahen,“ rief sie;, „nein, wie die Seeteufel! So große Köpfe,“ und sie hielt die ausgespreizten Hände von Weitem gegen einander, „gnidderschwarz und blank, wie frisch gebacken Brot! Und die Krabben hatten sie angeknabbert; die Kinder schrieen laut, als sie sie sahen!“
Dem alten Haien war so was just nichts Neues: „Sie haben wohl seit November schon in See getrieben!“ sagte er gleichmüthig.
Hauke stand schweigend daneben; aber sobald er konnte, schlich er sich auf den Deich hinaus; es war nicht zu sagen, wollte er noch nach weiteren Todten suchen, oder zog ihn nur das Grauen, das noch auf den jetzt verlassenen Stellen brüten mußte. Er lief weiter und weiter, bis er einsam in der Oede stand, wo nur die Winde über den Deich wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen der großen Vögel, die rasch vorüberschossen; zu seiner Linken die leere weite Marsch, zur andern Seite der unabsehbare Strand mit seiner jetzt vom Eise schimmernden Fläche der Watten; es war, als liege die ganze Welt in weißem Tod.
Hauke blieb oben auf dem Deiche stehen, und seine scharfen Augen schweiften weit umher; aber von Todten war nichts mehr zu sehen; nur wo die unsichtbaren Wattströme sich darunter drängten, hob und senkte die Eisfläche sich in stromartigen Linien.
Er lief nach Hause; aber an einem der nächsten Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen Stellen war jetzt das Eis gespalten; wie Rauchwolken stieg es aus den Rissen, und über das ganze Watt spann sich ein Netz von Dampf und Nebel, das sich seltsam mit der Dämmerung des Abends mischte. Hauke sah mit starren Augen darauf hin; denn in dem Nebel schritten dunkle Gestalten auf und ab, sie schienen ihm so groß wie Menschen. Würdevoll, aber mit seltsamen, erschreckenden Gebärden; mit langen Nasen und Hälsen sah er sie fern an den rauchenden Spalten auf und ab spazieren; plötzlich begannen sie wie Narren unheimlich auf und ab zu springen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen die großen; dann breiteten sie sich aus und verloren alle Form.
„Was wollen die? Sind es die Geister der Ertrunkenen?“ dachte Hauke. „Hoiho!“ schrie er laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten sich nicht an seinen Schrei, sondern trieben ihr wunderliches Wesen fort.
Da kamen ihm die furchtbaren norwegischen Seegespenster in den Sinn, von denen ein alter Capitän ihm einst erzählt hatte, die statt des Angesichts einen stumpfen Pull von Seegras auf dem Nacken tragen; aber er lief nicht fort, sondern bohrte die Hacken seiner Stiefel fest in den Klei des Deiches und sah starr dem possenhaften Unwesen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor seinen Augen fortspielte. „Seid Ihr auch hier bei uns?“ sprach er mit harter Stimme: „Ihr sollt mich nicht vertreiben!“
Erst als die Finsterniß alles bedeckte, schritt er steifen langsamen Schrittes heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie Flügelrauschen und hallendes Geschrei. Er sah nicht um; aber er ging auch nicht schneller und kam erst spät nach Hause; doch niemals soll er seinem Vater oder einem Anderen davon erzählt haben. Erst viele Jahre später hat er sein blödes Mädchen, womit später der Herrgott ihn belastete, um dieselbe Tages- und Jahreszeit mit sich auf den Deich hinausgenommen, und dasselbe Wesen soll sich derzeit draußen auf den Watten gezeigt haben; aber er hat ihr gesagt, sie solle sich nicht fürchten, das seien nur die Fischreiher und die Krähen, die im Nebel so groß und fürchterlich erschienen; die holten sich die Fische aus den offenen Spalten.
Weiß Gott, Herr!“ unterbrach sich der Schulmeister; „es gibt auf Erden allerlei Dinge, die ein ehrlich Christenherz verwirren können; aber der Hauke war weder ein Narr noch ein Dummkopf.“
Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren; aber unter den übrigen Gästen, die bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm das niedrige Zimmer füllend, entstand eine plötzliche Bewegung; erst Einzelne, dann fast Alle wandten sich dem Fenster zu. Draußen – man sah es durch die unverhangenen Fenster – trieb der Sturm die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durcheinander; aber auch mir war es, als hätte ich den hageren Reiter auf seinem Schimmel vorbeisausen gesehen.
"Seid Ihr auch hier bei uns"
Die Fundstücke in der Brandungsmarke der Nordsee künden von fernen Schiffs-Unglücken, lassen Wasserleichen antreiben und seltsame Meerestiere. Sie werden zum unauslöschlichen Bestandteil der
Vorstellungswelt des jungen Hauke Haien. Spätmittelalterliche Darstellungen von bizarren Meeresungeheuern brennen sich als Gefahren in sein Bewusstsein genau so ein, wie die pragmatische
Geometrie des Euklid.
"Seid Ihr auch hier bei uns"
Die Fundstücke in der Brandungsmarke der Nordsee künden von fernen Schiffs-Unglücken, Wasserleichen wurden angetrieben und seltsame Meerestiere. Sie werden zum unauslöschlichen Bestandteil der
Vorstellungswelt des jungen Hauke Haien. Spätmittelalterliche Darstellungen von bizarren Meeresungeheuern brennen sich bildhaft als Gefahren in sein Bewusstsein genau so ein, wie die pragmatische
Geometrie des Euklid. Diese Szene hatte Jens Rusch bereits im Buch als Radierung dargestellt. Jetzt malte er sie erneut, weil sie ihm nicht aus dem Kopf ging. Sein Freund, der Sänger Norman
Keil stand ihm dieses Mal für das große Ölgemälde Modell. Originalformat 80 x 150 cm
Der Schimmelreiter enthält viele unheimliche und irrationale Elemente, die den Glauben an das Übernatürliche stärken. Nicht nur der Spuk eines Pferdes auf der Hallig und
der Kauf des Schimmels lassen die Leser erschaudern, sondern auch andere unerklärliche Phänomene. Selbst rationale Charaktere wie Tede Haien, Elke und Hauke sind von
diesen Einflüssen nicht völlig verschont. Hauke selbst hat in seiner Jugend eine unheimliche Erfahrung, als er im Nebel dunkle, groteske Gestalten sieht, die ihm wie
Menschen erscheinen und seltsame Bewegungen machen. Jahre später erkennt er, dass diese Gestalten nur hungrige Vögel waren, die in den Eisspalten nach Fischen jagten. Dies
ist jedoch eines der wenigen Ereignisse, für die es eine rationale Erklärung gibt.
[...] Auf jenen Stellen war jetzt das Eis gespalten; wie Rauchwolken stieg es aus den Rissen, und über das ganze Watt spann sich ein Netz von Dampf und Nebel, das
sich seltsam mit der Dämmerung des Abends mischte. Hauke sah mit starren Augen darauf hin; denn in dem Nebel schritten dunkle Gestalten auf und ab, sie schienen ihm so
groß wie Menschen. Würdevoll, aber mit seltsamen, erschreckenden Gebärden; mit langen Nasen und Hälsen sah er sie fern an den rauchenden Spalten auf und ab spazieren;
plötzlich begannen sie wie Narren unheimlich auf und ab zu springen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen die großen; dann breiteten sie sich aus und verloren
alle Form. „Was wollen die? Sind es die Geister der Ertrunkenen?“, dachte Hauke. [...]
Gemälde Öl auf Leinwand 80 cm x 150 cm : " Ja Kind, das alles ist lebig, so wie wir ".
Text folgt
Bald hatte er sie getragen, bald ging sie an seiner Hand; die Dämmerung wuchs allmälig; in der Ferne verschwand Alles in Dunst und Dust. Aber dort, wohin noch das Auge reichte, hatten die unsichtbar schwellenden Wattströme das Eis zerrissen, und, wie Hauke Haien es in seiner Jugend einst gesehen hatte, aus den Spalten stiegen wie damals die rauchenden Nebel, und daran entlang waren wiederum die unheimlichen närrischen Gestalten und hüpften gegen einander und dienerten und dehnten sich plötzlich schreckhaft in die Breite.
Das Kind klammerte sich angstvoll an seinen Vater und deckte dessen Hand über sein Gesichtlein: „Die Seeteufel!“ raunte es zitternd zwischen seine Finger; „die Seeteufel!“
Er schüttelte den Kopf: „Nein, Wienke, weder Wasserweiber noch Seeteufel; so Etwas gibt es nicht; wer hat Dir davon gesagt?“
Sie sah mit stumpfem Blicke zu ihm herauf; aber sie antwortete nicht. Er strich ihr zärtlich über die Wangen: „Sieh nur wieder hin!“ sagte er, „das sind nur arme hungrige Vögel! Sieh nur, wie jetzt der große seine Flügel breitet; die holen sich die Fische, die in die rauchenden Spalten kommen.“
„Fische,“ wiederholte Wienke.
„Ja, Kind, das Alles ist lebig, so wie wir; es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott ist überall!“
Klein Wienke hatte ihre Augen fest auf den Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war, als sähe sie erschrocken in einen Abgrund. Es war vielleicht nur so; der Vater blickte lange auf sie hin, er bückte sich und sah in ihr Gesichtlein; aber keine Regung der verschlossenen Seele wurde darin kund. Er hob sie auf den Arm und steckte ihre verklommenen Händchen in einen seiner dicken Wollhandschuhe: „So, mein Wienke,“ – und das Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger Innigkeit in seinen Worten –, „so, wärm’ Dich bei mir! Du bist doch unser Kind, unser einziges. Du hast uns lieb! …“ Die Stimme brach dem Manne, aber die Kleine drückte zärtlich ihr Köpfchen in seinen rauhen Bart.
"Ja Kind, das alles ist lebig, so wie wir ".
Lediglich seine von Storm als "schwachsinnig" beschriebene Tochter Wienke scheint den gereiften Hauke Haien noch zu verstehen, Mit Ihr teilt er seine Visionen von der Bedrohung durch die gefrässige Nordsee.
"Ja Kind, das alles ist lebig, so wie wir ".
So antwortet Hauke Haien, als sein Töchterchen sagt "Das Meer spricht zu mir". Lediglich seine von Storm als "schwachsinnig" beschriebene Tochter Wienke scheint den gereiften Hauke Haien
noch zu verstehen, Mit Ihr teilt er seine Visionen von der Bedrohung durch die gefrässige Nordsee. Die Radierung, die man im Buch sieht, war für Jens Rusch 30 Jahre lang die zweite
Schlüsselszene zur mystischen Empfindungswelt Hauke Haiens. Für die Neufassung als Ölgemälde auf Leinwand im Format 80 x 150 cm stand ihm sein Freund, der Schauspieler Aurel Manthei
Modell.
KONTAKT:
Jens Rusch
TELEFON: 04852 4848
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