Laudatio

LAUDATIO

zur Vernissage der Werkschau von Br. Jens Rusch

am 5. Mai 2024 im Logenhaus in der Welckerstraße

von Br. Axel Voss

(Konrad Ekhof i.O. Hamburg)

 

Lieber Brüder und Schwestern, verehrte Gäste,

 

ich erinnere mich gut. Es war im Jahr 2017. In der Schlosskapelle des Dresdner Residenzschlosses besuchte ich eine Ausstellung über den Naturmystiker Jacob Böhme, die von der Ritman Library kuratiert wurde und den Titel „Alles in Allem“ trug. Etwa 100 Jahre nach dem Beginn der Reformation wurde das traditionelle Weltbild durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse erschüttert. In dieser Zeit suchte Jacob Böhme (1575–1624) nach einer spirituellen und philosophischen Erneuerung. Sein Ziel war es, durch seine Schriften Religion und Wissenschaft miteinander in Einklang zu bringen und eine Art „universelle Theorie“ zu schaffen.
Er war ein Meister der Integration.

 

An diesem magischen Ort faszinierte mich ein mit „Drechselstück“ betiteltes Objekt aus Elfenbein, dass die fünf Platonischen Körper zeigt, die für den Philosophen den Inbegriff für Schönheit und Harmonie darstellten.

Aus einem Impuls heraus sendete ich meine Aufnahmen davon an Jens.

Einige Tage später erhielt ich von ihm einen Entwurf zurück.
Jens hatte dieses Objekt direkt neben Dante in eine Arbeit integriert, die mit einem über allem stehenden Portrait von Manley Palmer Hall eine Vielzahl von Symbolen und weiteren Mystikern darstellt.

Ich war verblüfft und fühlte, wie Jens mir in Gedanken zugrinste.

 

Ein Meister der Integration. Dieser Begriff blieb mir im Kopf. Beschreibt doch die Integration einen dynamischen, lange andauernden und sehr differenzierten Prozess des Zusammenfügens und Zusammenwachsens.
Sie hebt den Zustand der Exklusion und der Separation auf und bedeutet aus dem Lateinischen „Erneuerung“.

 

Denkt man an Jens Ruschs vielseitiges Schaffen und Engagement, zieht sich dieser Begriff wie ein roter Faden durch seine Vita.

 

Ob man sein Bemühen um Verbindung und Verständigung in der Gründung von Freimaurer-Wiki, der Wattolympiade als „Stärke gegen Krebs“, oder seine nur scheinbar so gegensätzlichen Leidenschaften wie die Freimaurerei und die Wacken-Festivals betrachtet – Jens lebt dieses „Alles in Allem“.

 

Als Kunsthistoriker und Symbolforscher finde ich dies jedoch vor allem in seinen Bildern und Skulpturen. Es sind wahre Füllhörner voller Allegorien, Metaphern und Mythologien. Daher schmücken gerade in der masonischen Literatur immer wieder seine Arbeiten die Buchtitel.

 

Die Coincidentia oppositorum - den Zusammenfall der Gegensätze – spiegelt in seinen Arbeiten für mich die freimaurerische Ethik.
Integration bedeutet, ich arbeite als Individuum an mir
gemeinsam mit anderen Individuen. Stünde man als Bruder oder Schwester nicht auch für sich mit all seinen Eigenarten, wäre das Inklusion.

Wir bedienen uns einer Symbolik, die aus verschiedensten Lehrsystemen und Weisheitstraditionen stammt. Auch hier „Alles in Allem“, nicht zu verwechseln mit einer postmodernen Beliebigkeit. Die Anfänge gehen weit zurück und natürlich denken wir hier an Hermes Trismegistos.

 

Jens Ruschs freimaurerisches Werk ist eine intuitive und ikonographische Tür zur kritischen Unterweisung und natürlich finden wir hier auch immer wieder den Arbeitsteppich, das Tracing board und die darauf abgebildeten Werkzeuge.

 

In der Kunstgeschichte bezeichnet man die Integration (im Sinne einer Erneuerung aus verschiedenen „Bausteinen“) als Kollage (franz. coller „kleben“) - einer wortwörtlichen „Zusammenfügung“ gleich einer Zeichnung in Ritueller Arbeit.

Und damit entsteht etwas völlig Neues, was jeder für sich interpretieren kann.

Hier in Hamburg sei erwähnt, dass das Wort harmonía im Ursprung das nahtlose Zusammenfügen zweier Schiffsplanken bezeichnete.

Jede für sich, doch nun als starker Verbund.

 

Jens Arbeiten stehen in der Tradition von Dalí und anderen Surrealisten, die sich gegen den Rationalismus des Logos wandten und sich vom Mythos, dem traumhaften, dionysischen inspirieren ließen.
In der Inspiration steckt mit dem Spiritus, die Öffnung zur metaphysischen, transzendenten, tatsächlich spirituellen Ebene.

 

Es geht dabei – genau wie schon in den Werken Hieronymus Boschs – um nichts weniger als die Suche nach der Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten. Dabei gilt es, das Bewusstsein zu weiten und geltende Normen aufzulösen.

 

Will der so Suchende sich ent-wickeln, im Sinne eines „Erkenne Dich selbst!“, wird er sich der Herausforderung stellen müssen, die eigenen Grenzen zu überschreiten.

Die scheinbaren Gegensätze einer anarchistisch, revolutionären Weltauffassung und Goethes Mahnung „das Gesetz nur kann uns Freiheit geben!“ gehen hier ineinander über.

 

Betrachten wir Arbeiten wie die „Vanitas vanitatum“ ist das Zusammenspiel der dargestellten Objekte eine Hommage an das klassische Memento Mori-Sujet des Barock und zugleich ein freimaurerisches Unterweisungsbild, dass zur kontemplativen Innenschau einlädt.

Sich auf seine Bilder einzulassen und immer mehr darin zu entdecken ist ein Abenteuer und möglicherweise eine Heldenreise zu sich selbst.
Werde, der Du bist!, fordert uns schon Pindar auf.

 

Was macht der Gedanke an die eigene Sterblichkeit mit uns?
Mit Ihnen? Mit Euch?

 

Ein weiteres Beispiel sind für mich auch die Bronzeskulpturen „Buddha 1 & 2“, die hier in der Vitrine stehen und Jens freimaurerischen Weg mit dem Buddhismus vereinen.

Auch hier Integration zweier weltweiten Philosophien als Anregung, deren Schnittmengen zu erspüren.
Es geht also im Kern immer darum, das Verbindende zu betonen und nicht – wie so oft in unserer profanen Welt – das Trennende und Spaltende.

 

Und dafür muss Kunst aufrütteln!

Fragen stellen, bewegen, berühren, sich einmischen.

 

Provokant, geradezu tollkühn mag mancher die Darstellung von Leiterbahnen auf dem Bauch des Buddha empfinden.
In meiner Interpretation ein
Tremendum et faszinans - die gleichzeitige erschütternde Furcht und Faszination - vor einer K.I. die uns erheben oder versklaven kann. Die ethischen Herausforderungen der kommenden digitalen Welt können wir bislang nur erahnen.

Die neuen Götter, so der Autor Neil Gaiman in seinem Buch „American Gods“, sind der Aktienmarkt und das Internet, die Odin oder Anubis gegenüberstehen.

Wir erhalten unsere Dopamin-Schübe nicht mehr in der Betrachtung eine Blüte, sondern als Like auf unserem Smartphone.

 

Jens ist das alles sehr bewusst und seine Bilder sprechen zu uns:
Seid achtsam auf Euch selbst!

 

Die sogenannte künstliche „Intelligenz“ ist eben nicht intelligent, doch generiert ihr Algorithmus auf Befehl neue Angebote aus bereits vorhandenen Bildern.

Jens hat den Mut und die Weitsicht, sich der Möglichkeiten dieser neuen Technologie zu bedienen, wie Künstler eine Kupferplatte, eine Kamera oder einen 3D-Drucker als Werkzeuge verwenden.

 

Er selbst bemerkt dazu:

Das elektronische Potenzial an steuerbarer Inspiration lasse ich fortan in meine herkömmliche Arbeit einfließen. Dabei benutze ich ausschließlich vorentwickelte eigene Arbeiten. Nach dem erweiterten Motiv-Relaunch kehre ich grundsätzlich zu meinen angestammten malerischen Techniken zurück. Dadurch hat sich mein Arsenal an Pinseln und Tuben also erweitert.“

 

Doch viele traditionelle Künstler steigen hier aus.

Das Problem, dass sich ein Artefakt, das zwar aussieht wie ein typisches Kunstwerk, aber keines ist, anscheinend nicht mehr von einem echten Kunstwerk unterscheiden lässt, bringt eine alte Diskussion um
das Ende der Kunst wieder in Gang.

 

Nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel sei die Kunst nur eine Reminiszenz an die unwiederbringlich verlorene „Techné“ der Antike. Hegel befreite quasi die Kunst von der Pflicht, stets die Wahrheit zu verkörpern.

Seitdem prägt das Paradigma vom Ende der Kunst das Bewusstsein der künstlerischen Moderne – denken wir an Marcel Duchamps Urinal
oder Andy Warhols
Brillo-Boxen.

 

Walter Benjamin schreibt einem Kunstwerk einen Kultwert zu und spricht vom Verlust einer Aura, die das spezifische des Kunstwerks charakterisiert, welches sich durch seine Einmaligkeit auszeichnet und dadurch, dass es an einen Ort gebunden, sowie in die Geschichte eingebettet ist.

 

Arthur C. Danto prägte den Begriff der Kunstwelt (engl. Artworld), einem Umgebungsraum, der ein modernes Kunstwerk als solches quasi legitimiert Kunst zu sein: sakral wie eine Kirche oder ein Tempel, profan wie ein Museum (mouseîon, ursprünglich Heiligtum der Musen) oder eine Galerie (galleria, ursprünglich der Ausstellungsort der Medici, den Förderern auch des Renaissancehumanismus).

Intuitiv dämpfen wir an jenen Orten der Kunst immer noch unsere Stimmen.

 

Auch die beste Interpretation kann die Erfahrung des einzigartigen Kunstwerks nicht ersetzen. Man muss es selbst erleben.

Denn ein Kunstwerk stellt nicht nur einen Sachverhalt dar, sondern ist Ausdruck einer Art und Weise, die Welt zu sehen. Damit ist die Aufforderung an den Betrachter verbunden, diese Einstellung ebenfalls einzunehmen, die sich im Stil des Kunstwerks niederschlägt.

Die Bedeutung des Kunstwerks ist darüber hinaus nicht unmittelbar gegeben, sondern in Form einer Metapher, die nur indirekt auf die Bedeutung hinweist. Sie lädt dazu ein, eine Sache im Licht einer anderen Sache zu sehen, um so Aspekte hervortreten zu lassen, die bislang verborgen waren.

 

Um Ihnen und Euch diese Gedanken zu vermitteln, könnte ich mir keinen besseren Ort vorstellen als hier direkt neben Jens Skulptur unseres Bruders Friedrich Ludwig Schröder.

 

Betrachten wir nun unter den genannten Aspekten die Arbeiten dieser Ausstellung:

 

  • Ein Kunstwerk ist einmalig, auch wenn es reproduzierbar ist

  • Es vermittelt eine Botschaft

  • Es ist im Grunde der Wahrheit verpflichtet

  • Es hat einen Kultwert

  • Es inspiriert den Betrachter

 

All diese Definitionen finde ich in jedem Bild, in jeder Skulptur von Jens Rusch wieder.

 

Wir bedienen uns in der Freimaurerei genau jener erwähnten Metaphern durch Symbole und der ästhetischen Erfahrung.
Daher sprechen wir von der „Königlichen Kunst“ und auch diese ist nicht beschreibbar – man muss sie selbst erleben.

 

So lade ich Sie und Euch nun ein, sich einzulassen auf ein großes, vielfältiges Werk, das hier in diesem ehrwürdigen Logenhaus in der Welkerstraße natürlich seinen maurerischen Schwerpunkt setzt – Kommunikativ und kontemplativ gleichermaßen.

 

Betonen möchte ich dabei Jens unvergleichlich humorvolle Art, uns Brüdern und Schwestern in der Tradition Till Eulenspiegels - z.B. durch seine den Hohen Hut tragenden Pinguine - den Spiegel der Weisheit vorzuhalten.

 

 

So is dat recht,

 

so möög dat sien!